Beide mathematisch begabt, konnten sie ihr Studium mit Stipendien und Nebenjobs erfolgreich abschließen und wurden vom Fleck weg in einem staatlichen mathematischen Institut eingestellt – die Arbeit finden sie wunderbar.
Nur eines fehlte noch zu ihrem kompletten Glück: ein gemeinsames Kind und auch darin waren sie unvermutet schnell erfolgreich. Der kleine, noch ungeborene Johannes (benannt nach seinem Opa) entwickelte sich prächtig.
In der 23. Schwangerschaftswoche aber war etwas auffällig und von da an „blieb kein Stein auf dem anderen“, so Lissy. Gleich mehrere Ärzte waren bei den kurzfristig aufeinanderfolgenden Gesprächen zugegen, „der eine erklärte uns, dass wir eine Verantwortung hätten für unsere zukünftigen Kinder, die mit dieser Behinderung überfordert seien. Die anderen erklärten uns, dass wir Johannes am besten ‚jetzt gar nicht mehr im Ultraschall anschauen‘, damit wir nicht eine noch tiefere Beziehung zu ihm entwickeln.“
Dagegen malten die Ärzte zeitgleich für Lissy und Rainer ein Zukunftsbild, das sehr genau ihre schlimmsten Horrorvorstellungen traf und sie versprachen, die beiden vor diesem Schreckgespenst zu schützen, sie zu ‚retten‘, damit ihre Ehe nicht ‚daran zerbricht‘.
Tag und Nacht waren sie auf den Beinen, schliefen und aßen nicht mehr, dachten nur noch daran, dass Johannes ‚erlöst‘ würde von ‚seinen Leiden‘ – er war offenkundig geistig und körperlich behindert.
Es war dann Opa Johannes, der in letzter Sekunde eingriff: Er vereinbarte bei uns einen Termin und die jungen Eltern legten dar, warum „das jetzt nicht geht“ und warum sie sich überfordert fühlten. Dann hatten wir zum Glück die Idee, zusammen mit den beiden Mathe-Genies auszurechnen, was ein Mensch wert ist, so ganz profan finanziell gesehen. Und wir fingen an zu rechnen – zum Glück strandeten wir immer an der gleichen Erkenntnis: Es gibt Dinge, die sich nicht mathematisch berechnen lassen, weder beim gesunden noch beim kranken Menschen. Für Lissy und Rainer ein Schock aber ein heilsamer, denn wir haben ja ihre eigene finanzielle Wertigkeit berechnet ...
Wie immer in solchen Fällen boten wir Adoption an, nach vielen Tränen („so eine schreckliche Achterbahnfahrt“) nahmen sie das Angebot an: Wenn Johannes sich bei der Geburt als das befürchtete Monster erweist, geben sie ihn zur Adoption frei. So haben sie ihm das Leben gerettet und stehen tatsächlich, nicht nur vermeintlich, als Helden da.
Johannes kam im dicksten Schnee zur Welt: Er ist behindert, aber nicht geistig. Und: er ist fröhlich, er lacht viel und ist ein ausgeglichenes und fröhliches Kind. Es gibt Hoffnung, dass er eines Tages laufen kann. Er liebt das Spiel auf der Gitarre und lernt schnell. Adoption war kein Thema mehr.
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