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Alle Menschen stehen in einer Abhängigkeit, wenn nicht vom Familienverband, dann vom Betrieb. Wählen können wir nur, von wem wir abhängig sein wollen.

Weiterführende Informationen

Abhängigkeit pur

Wir alle kommen zur Welt - und sind schon bei der Zeugung abhängig: davon nämlich, dass Vater und Mutter sich sexuell vereinigen und mich dabei zeugen.

Und ich bin auch davon abhängig, dass Vater und Mutter mich am Leben lassen bis zu meiner Geburt.

Wenn ich krank werde während der Schwangerschaft, dann bin ich abhängig davon, dass meine Mutter einen guten Arzt findet – und ich bin abhängig davon, dass dieser eine sehr gute Ausbildung genossen hat und die dann auch anwenden kann, so dass weder mir noch meiner Mutter etwas Schlimmes passiert.

Bei der Geburt bin ich angewiesen: wieder auf meine Mutter und meinen Vater (dass der ihr beisteht und es aushält, alternativ eine Ersatz-Person).

Dann bin ich in dieser extrem aufregenden und gefährlichen Geburtszeit angewiesen auf:

  • eine gute Hebamme

  • einen guten Arzt

  • eine gute Kinderkrankenschwester

  • auf den Klinikdirektor und alle seine Mitarbeiter

  • darauf, dass der Strom nicht ausfällt,

  • darauf, dass der Hausmeister alles am Laufen hält und Schäden repariert

  • darauf, dass die Telefongesellschaft tut, wofür sie bezahlt wird

  • usw.

 

Dann bin ich angewiesen, dass ich nach der Geburt gebadet werde, während meine Mama medizinisch gut versorgt wird – bis wir dann endlich wieder zusammensein dürfen. Dann erkenne ich ihren Herzschlag wieder und auch die Stimme von Papa. DER ist besonders interessant, von dem weiß ich noch nichts.

Auf den bin ich dann auch angewiesen, dass der mich so liebt, wie ich ihn, denn meine Mama liebe ich schon seit ca. 40 Wochen.

Ich bin gerne auf Papa angewiesen, weil der mich doch jetzt auch gleich hochheben wird, mir lauter Unsinn ins Ohr sagen wird und mich die Stacheln vom Weihnachtsbaum anfassen lässt. Außerdem darf ich das Eis in der Waffeltüte ausprobieren und Schokolade essen ... während meine Mama entsetzt rufen wird, dass das viel zu früh sei. Aber der Papa ist mutig, der macht das schon.

 

Angewiesen bin ich natürlich (!) weiterhin auch auf meine Mama – seit 9 Monaten himmeln wir uns an und machen uns manchmal das Leben gegenseitig schwer, dann vertragen wir uns wieder und freuen uns aufs Zusammentreffen. Das hat jetzt schließlich geklappt, weil alle Menschen, die außer uns noch notwendig waren, perfekt zusammengearbeitet haben.

Jetzt brauche ich ihre Milch – es gibt nichts, was leckerer ist. Nichts. Gar nichts.

Also bin ich darauf angewiesen, dass sie sich schont, wir zusammen ausruhen und sie im Zweifelfall viel Milch trinken kann, weil ich mir erhoffe, dass sie daraus im Notfall schneller Milch produzieren kann.

Hoffentlich isst sie lauter gute Sachen und vor allem solche Sachen, die nicht blähen, sonst muss ich mein halbes Babyleben mit Blähungen verbringen. Dann kann ich bloß noch schreien und hoffen, dass einer aus der Familie mich solange herumschleppt und mir liebevolle Sachen ins Ohr flötet, bis der Druck endlich abgelassen ist.

Abhängigkeit pur, sage ich euch.

Aber: Abhängigkeit schafft Liebe und Zuneigung. Je mehr meine Familie sich abmüht, desto mehr lieben wir uns – mit anderen Worten: je abhängiger wir voneinander werden, desto besser wird unser Familienleben.

Wenn wir uns gestritten haben, fliegen die Fetzen – aber die anschließende Versöhnung macht alles wett.

 

Naja. Und was soll ich noch sagen?

Das geht dann so weiter: mein Papa ist abhängig davon, dass er mit seiner Arbeit klar kommt und mit seinem Chef und mit seinen Kollegen und Kolleginnen. Er ist abhängig davon, dass meine Mama zu Hause den Haushalt schmeißt und sich nicht verrückt machen lässt. Er ist abhängig davon, dass sie – wenn sie Kummer hat – sich an ihn oder eine Freundin wendet und den Kummer auflösen kann.

Die Oma und der Oma wissen meist am schnellsten zu helfen. Die sind überhaupt die Besten und dass es die gibt, bedeutet ja, meine Mama und mein Papa gibt es, weil es dieses 4-er Quartett gibt. Die pfeifen nie aus dem letzten Loch, die wissen immer einen Ausweg, sie nerven manchmal, aber das tun wir umgekehrt ja auch.

Abhängigkeit pur. :-)

 

Dann geht’s weiter:

Im Kindergarten bin ich darauf angewiesen, dass die Erzieherin uns Kinder liebt und uns zeigt, wie das Leben miteinander so funktioniert, wie wir außer unseren Geschwistern lernen, Freunde zu gewinnen. Wie wir lernen zu spielen, uns zu streiten und auch hier: uns wieder zu versöhnen. Natürlich bin ich auch abhängig von der Loyalität der Freunde.

 

Abhängigkeit pur.

 

In der Schule dann bin ich abhängig davon, dass die Lehrer Bescheid wissen. Bescheid wissen darüber, wie sie uns Ungebildete zu Gebildeten machen wollen, so dass wir dann (!) endlich entscheiden können, an welcher Stelle genau wir mal höchstselbst am Rad der Geschichte drehen möchten. Unsere Lehrer und Lehrerinnen sind dabei abhängig vom Kultusminister, von ihrem Chef, von ihrem Kollegenkreis, vom Hausmeister (sic!) undsoweiterundsofort....

Abhängig bin ich vom Schulbusfahrer, dass der nicht betrunken ist, dass der den genauen Fahrweg kennt ….

 

Abhängigkeit, wohin ich blicke.

 

Schließlich hat man mir all jenes Wissen eingebläut, was ich brauche, um loszufliegen und dabei bin ich wieder abhängig: vom Prof, wenn ich studiere (der wiederum....), vom Chef, wenn ich in Ausbildung gehe (der wiederum...), davon, dass die öffentlichen Verkehrsverbindungen mich dahin bringen, wo ich hin muss.

 

Und wieder habe ich mein Gehirn zu Höchstleistungen angetrieben, alles gelernt, was reingeht und dann lande ich bei meiner ersten Arbeitsstelle: Abhängigkeit finde ich dort vor. Was denn sonst?

Ich bin abhängig vom Chef, dass der keine falschen Entscheidungen über das Fortbestehen der Firma trifft. Dass der wiederum von seinen Eltern gut erzogen worden ist, damit er den Unterschied zwischen guter Chef und Drecksack kennt. Abhängig davon, dass die Kollegen gut arbeiten und die sind abhängig davon, dass auch ich mich anstrenge und auf mich mit der Zeit Verlass ist.

 

Aber JETZT: jetzt kommt die Zeit der freien Entscheidung, un-abhängig davon, wie die Rahmenbedingungen sind. Meine Herzallerliebste bzw. mein Herzallerliebster – suche ich aus, prüfe, so gut ich kann – und erlebe trotzdem, dass die erste große Liebe nicht hält, was sie versprach. Die zweite geht dann aber und dann mache ich Nägel mit Köpfen. Mit anderen Worten, wir heiraten, gründen eine Familie – mit noch anderen Worten, mit solchen, die Sie hier noch nicht gelesen haben: wir machen uns voneinander abhängig.

Gemeinsam sind wir abhängig von den Politikern und dass die einen guten Job machen und begreifen, dass wir der Souverän und dass sie quasi unsere Angestellten sind. Dass sie Rahmenbedingungen schaffen, die uns ein gutes Leben ermöglichen und sich ansonsten aus unserem Privatleben heraushalten.

 

Es kommt aber noch besser. Noch viel besser:

Eines Tages werde ich sterben, mein Leben hat einen Anfang genommen und es wird ein Ende nehmen. Dann bin ich erst recht abhängig: 

  • Wer hält mir auf dem Sterbebett meine Hand?

  • Wessen Anwesenheit tröstet mich beim Sterbeprozess?

  • Hat sowohl der Arzt als auch der Pfarrer ganze Arbeit geleistet und mir den letzten Schritt möglich gemacht?

  • Kann der Bestatter sein Handwerk menschenwürdig verrichten?

  • Und ich hoffe, dass meine Familie vor meinem Grab steht und sich freut, dass es mich gegeben hat

 

Es gibt also kein unabhängiges Leben – im Gegenteil, wird es erst dann gut, wenn wir eine Abhängigkeit geschaffen haben, die uns guttut. Und dass wir im Laufe unseres Lebens gelernt haben, manche Abhängigkeiten einfach nur auszuhalten.

 

Niemand! Kein Mensch lebt unabhängig – nicht einmal der Eremit im Wald.

Was wir aber (meistens) aussuchen können: Von WEM wollen wir abhängig sein? :-)

Aufstand der guten Frauen und Männer

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