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Männer und Abtreibung

„Als hätte sie mir ein Stück von mir genommen“


„Ich fühlte mich wie Müll“


Am 23. Januar 2014 brachte der WDR im Rahmen des Magazins Frau-TV einen Beitrag zum Thema „Abtreibung – Wenn Männer trauern“. Darin kommt ein Mann zu Wort, dessen ehemalige Partnerin das gemeinsame Kind heimlich abtreiben hat lassen. Obwohl die Abtreibung inzwischen Jahre zurückliegt, belastet sie ihn noch heute, die Trauer um das verlorene Kind schmerzt. „Ich leide noch, es berührt mich“, sagt er. Verletzt, enttäuscht, verzweifelt sei er gewesen, er habe sich nicht wahrgenommen gefühlt, beklagt er das fehlende Vertrauen seiner Partnerin: „Ich hatte keine Chance“ und „Ich fühlte mich wie Müll“, sagt er im Beitrag. Je älter er wird, desto öfter fragt er sich, was wäre, wenn das Kind noch da wäre. Heute lebt er allein mit seinem Hund, eine neue Beziehung kann er sich nur schwer vorstellen.


„Eine der schwerstwiegenden Todeserfahrungen“


Abtreibung gilt als „Sache der Frau“, als ihre persönliche Entscheidung. Aber, so der US-amerikanische Spezialist für das Post-Abortion-Syndrom Kevin Burke in einem Interview mit der Nachrichtenagentur ZENIT: „Tatsache ist, dass Männer durch ihre Teilnahme an der Abtreibung ihres Kindes einen tiefen Schock davontragen.“

Die Tötung eines ungeborenen Kindes unterbricht gewaltsam den Fortpflanzungsprozess von Mann und Frau und produziert reale Schuld. „Abtreibung ist eine der schwerstwiegenden Todeserfahrungen, die Männer durchmachen“, bestätigt der Psychologe Arnold Medvene von der Universität Maryland. „Sie erweckt sehr wichtige, sehr grundlegende Fragen, Erinnerungen und Gefühle.“


„Seelenqualen“


2009 holte die ZEIT mit einem aufrüttelnden Artikel die „Seelenqualen“ der Männer aus dem Tabu, mit dem das Leiden nach Abtreibung von den meinungsbildenden Medien in der Regel belegt wird. Dass der Autor des Artikels keineswegs für das Lebensrecht der Kinder eintritt, sondern längst widerlegte 70er-Jahr-Klischees widerkäut wie jenes vom Recht der Frau, ihr Ungeborenes töten zu lassen, weil es „ihr Körper“ sei, von den Stricknadeln, und vom „Mut“ der Frauen der STERN-Aktion, macht dies noch bemerkenswerter. Ebenso wie die Tatsache, dass das wissenschaftlich durch zahlreiche Studien belegte Post-Abortion-Syndrom unverdrossen als Erfindung der Abtreibungsgegner abgetan wird, obwohl derselbe Artikel eindrücklich das Leiden von 11 Männern darstellt und es damit unfreiwillig bestätigt.


Von „Reue“ ist in den Berichten der betroffenen Väter die Rede, weil sie die Entscheidung der Kindesmutter überlassen hätten – aus heutiger Sicht ein Fehler. Vor den Kopf gestoßen seien sie gewesen vom eigenmächtigen Handeln der Partnerin, Hilflosigkeit hätten sie in dieser Situation erfahren. 10 von den 11 Männern sind zum Zeitpunkt des Erscheinens bereits von den Müttern ihrer abgetriebenen Babys getrennt. Tatsächlich zerbrechen weitaus die meisten Partnerschaften (über 80 Prozent) nach bzw. an einer Abtreibung.


Die Berichte der Männer, die in der ZEIT zu Wort kommen, sind erschütternd.


Ich habe vier Abtreibungen hinter mir, aber wie problematisch sie für das Seelenleben sind, ist mir erst spät klar geworden. Beim ersten Mal hielt ich mich für zu jung. Ich fühlte mich lange schuldig ... Das Dämlichste, was ich später zu meiner schwangeren Frau sagte, war: Das musst letzten Endes du wissen. Ich handelte gegen mein Gefühl.

Nach der Abtreibung brach ich innerlich zusammen, ich hatte Heulkrämpfe.

Sie hat zweimal ohne mein Wissen abgetrieben. Ich war fassungslos, enttäuscht, traumatisiert – und bin es heute noch ... Ich war auch schockiert, dass sie danach so schnell zur Tagesordnung übergegangen ist. Von da an hatte ich kein Vertrauen mehr zu ihr. Es gibt kein Wort für die Trauer der ‚Nichtväter‘ abgetriebener Kinder, aber sie existiert.

Erst in der Trennungsphase sagte sie: Ich wünschte, du hättest dem Kind eine Chance gegeben. Ich habe die Abtreibung bitterlich bereut. Als Jahre später das erste meiner beiden Kinder geboren wurde, kamen all der verdrängte Schmerz und die Trauer hoch.

Ich freute mich, aber sie wollte das Kind nicht haben. Wir fuhren zur Beratung, dort wollte sie das Gespräch allein führen. Die Beraterin gab mir zu verstehen, dass der Vater des werdenden Kindes hier nicht vorgesehen sei. Im Anschluss wurde der Schwangerschaftsabbruch mit einem Arzt vereinbart.

Meine Meinung war nicht gefragt. Die Abtreibung war eine Erfahrung großer Machtlosigkeit, sie verfolgt mich. Für mich war sie eine Tötung, an der ich durch meine Sorglosigkeit mitschuld bin.


Drei verschiedene Grundsituationen der Rolle von Männern lassen sich bei einer Abtreibungsentscheidung ausmachen:


  1. Der Tötungsbeschluss wird gemeinsam mit der Partnerin gefasst. Viele Männer setzen die Schwangere massiv unter Druck, explizit durch Drohungen wie „Das Kind oder ich“, oder subtiler, indem sie die Verantwortung auf die Mutter abwälzen („Das ist deine Entscheidung“) oder sie emotional im Stich lassen, sich nicht auf das Kind freuen und ihr damit signalisieren, dass sie mit dem Kind allein wäre. Studien belegen, dass eine Frau sich zweimal häufiger für eine Abtreibung entscheidet oder eine Fehlgeburt erleidet, wenn sie sich von ihrem Partner nicht unterstützt fühlt.

  2. Der Kindesvater ist gegen eine Abtreibung, hat aber rechtlich keine Möglichkeit, einzugreifen und sein Kind zu beschützen und muss hilflos zusehen, wie seine Partnerin sich dagegen entscheidet.

  3. Die Schwangere trifft die Entscheidung ohne Wissen des Kindesvaters, der oft erst lange Zeit nach der Tötung seines Kindes davon erfährt.

Unabhängig von seiner Rolle bei der Entscheidung zur Abtreibung sind mit der Tötung seines Kindes verheerende, tiefgreifende Folgen für das Leben eines Vaters verbunden.


Wenn Männer „erkennen, dass sie machtlos sind und den Tod ihres Sohnes oder ihrer Tochter nicht verhindern können, bekommen sie in der Regel schwere Depressionen und empfinden Wut und Schmerz, was zu einer inneren Selbstzerstörung führen kann. Diese kann vielerlei Formen und Gestalten annehmen“, erläutert Kevin Burke. Aber auch „Männer, die an der Entscheidung zur Abtreibung beteiligt sind und diese unterstützen, erleben Post-Abortion-Symptome - Scham, Schuldgefühle, schwer erklärbaren Kummer, Angstgefühle, Depressionen und Beziehungsprobleme.“


Und weiter: „In der Regel tauchen die Symptome gerade da auf, wo die Wunde wirklich liegt - häufig in Form von späteren Beziehungsproblemen, Zwangsvorstellungen und Neurosen, die mit der Sexualität zu tun haben.“


Symptome nach einer Abtreibung


  • Bindungsunfähigkeit, es scheitern nicht nur die meisten Beziehungen nach einer Abtreibung, auch künftige Beziehungen sind belastet und oft schwierig

  • Probleme, zu vertrauen, Misstrauen gegenüber Frauen, aufgrund der oftmals auch unbewussten Sorge einer weiteren Schwangerschaft, auf deren Ausgang er einen Einfluss hat; sexuelle Funktionsstörungen

  • Ärger, Wut, Zorn, der oft in einer Weise zum Ausdruck kommt, die ihm oder jemand anderen schadet, missbrauchendes Verhalten

  • negatives Verhalten sich selbst und anderen gegenüber, erhöhte Aggressions- und Gewaltbereitschaft

  • Süchte (wie z.b. Pornographie), Alkohol- und Drogenmissbrauch, Neigung zum Workaholic, hohe Risikobereitschaft

  • Schlaflosigkeit, Albträume, Panikattacken

  • Trauer, Schmerz

  • unerklärliche Ängste

  • schwere Depressionen, Kummer, gestörtes Selbstvertrauen, Angst vor Versagen oder Ablehnung

  • selbstauferlegte Isolation bis hin zu Suizidgedanken und einer erhöhten Neigung zu Selbstmord

  • Verlustgefühl, ein erdrückendes Gefühl von Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit

  • Schuldgefühle, Scham, Leid, Gewissensbisse, Reue

  • Kontrollprobleme

  • Gedanken an „was wäre gewesen wenn“

  • Versagensgefühl, Ohnmacht

  • Selbstzweifel, Selbsthass


Weitere Zeugnisse von betroffenen Männern bestätigen das bisher Ausgeführte:


Meine jetzt Ex-Frau hat vor 3 Jahren unser gemeinsames Kind in der 11. SSW abgetrieben ... Ich komme damit nicht klar und bin mehr als verzweifelt! ... Fühle mich so leer... Die Trauer überwiegt im Moment alles. Ich kann nicht klar denken, nicht arbeiten, nicht leben. Wie konnte sie mir so was antun? Das Kleine hat so etwas nicht verdient! Es hätte eine Chance haben müssen! Bin einfach nur verzweifelt und traurig ...

Ich habe so eine Wut auf sie. Wie leichtfertig sie mit so einer schwerwiegenden Entscheidung umgegangen ist. Es fühlt sich bei mir an, als hätte sie mir ein Stück von mir genommen.

Vor 4 Jahren hat meine Exfreundin ohne mein Wissen abgetrieben. Sie hat mir nur irgendwann gesimst, dass das Kind nun weg sei. Ich war zutiefst erschüttert. Ich hätte das Kind behalten wollen und fühle einfach nur Hass auf sie! Obwohl das ganze fast 4 Jahre her ist, hat es enorme Auswirkungen auf meine neue Beziehung … Seit Monaten kein Sex, ich trinke (zu) viel, habe enorm an Gewicht zugelegt und mir ist alles egal. Ich erkenne mich selbst nicht wieder.

Mein erstes Kind. Ich kann mich erinnern, wie ich mich gefreut habe, dass ich Vater werde. Aber sie wollte es plötzlich nicht mehr und hat es abgetrieben. Es brach mein Herz. Meine Welt brach einfach zusammen. Bei der Zeugung durfte ich dabeisein, aber die Entscheidung für das Kind lag nur bei Ihr. Das ist so ungerecht. Ich leide bis heute noch deswegen. Ich wollte das Leben und bekam nur den Tod. Heute lebe ich allein.

Alles Erkundigen und Bitten hat nichts geholfen, meine Freundin hat unser Kind abgetrieben. Ich bin tief erschüttert und trenne mich von ihr.

Vor einer Woche hat mir meine Freundin gesagt, dass sie von mir schwanger ist. Ich habe mich wirklich gefreut. Aber sie meinte, dass sie abtreiben will! Es war wie ein Schlag ins Gesicht für mich, ich konnte es absolut nicht verstehen und hätte das nie gedacht. Wir haben gestritten und viel geredet, aber sie ist bei ihrer Entscheidung geblieben. Ich weiß dass ich ihre Meinung eigentlich akzeptieren muss, aber es ist doch auch mein Baby! Wieso habe ich da gar nichts zu sagen?

Wut über die eigene Ohnmacht


Auch der Psychologe Wolfgang Neumann ist in seiner Praxis immer wieder mit dem Thema Abtreibung konfrontiert ist: „Innerlich sind sie [Männer] stärker beteiligt, als sie gewöhnlich glauben. Selbst hinter einer emotionslosen Fassade steckt oft viel Wut über die eigene Ohnmacht. Und da sind auch Enttäuschung und Trauer über den Verlust.“


Eine der wenigen deutschen Untersuchungen zum Thema „Männer und Abtreibung“ stammt aus den neunziger Jahren und wurde erstellt von der Münchner Psychologin Helgard Roeder, die 130 Paare nach der Abtreibung befragt hat. Nach der Abtreibung litten Helgard Roeders Studie zufolge auch Männer über Ängste, Unruhe und Schlaflosigkeit. Eine schwedische Untersuchung aus dem Jahr 1999 bestätigte das. Die überwiegende Mehrzahl der hierfür befragten 75 Männer berichtete, dass sie noch Jahre nach der Abtreibung negative Gefühle damit verbanden.


Vielfach werden die dramatischen Symptome von den Betroffenen jedoch gar nicht mit dem Verlust des Kindes in Verbindung gebracht. So berichtet etwa der österreichische Psychotherapeut Robert Karbiner von seinen Erfahrungen mit Männern, die sich bei ihm wegen Burnout, Panikattacken, Problemen im Arbeitsalltag und Beziehungsproblemen behandeln lassen, und bei denen erst im Lauf der Therapie herauskommt, dass sie ein Kind durch Abtreibung verloren haben. „Das in unserer Kultur geschaffene männliche Bild „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ verhindert, dass Männer ihre tiefen Gefühle wie Schmerz und Trauer in Zusammenhang mit einem nicht geborenen Kind offen ausleben können. Vielmehr wollen sie ihre Partnerin, die eine Abtreibung hatte, unterstützen und nicht mit der eigenen Trauer noch zusätzlich belasten“, erklärt Karbiner. Und Markus Roentgen, Referent für Männerseelsorge, bestätigt: „Kaum ein Mann kommt direkt mit diesem Thema in die Therapie. Erst im Rahmen einer Trennungs- und Scheidungsberatung, in Beratung, wo Männer berufliche wie persönliche Lebenskrisen in der Mitte ihres Lebens angehen oder in Seminaren, wenn der Rahmen für die Betroffenen stimmt, wird die Abtreibung völlig unerwartet zum Hauptthema. Die Erfahrung einer abgebrochenen Vaterschaft, die Realität eines abgetriebenen Kindes kommt nach oben ins Wiederbewusstbein - ins Fühlen, in die Trauer, in Schuld- und Wutgefühle, je nachdem, wie es sich im Blick der Männer ereignet hat.“


Heilung kann beginnen, wenn der betroffene Mann seine Verantwortung am gewaltsamen Abtreibungstod seines Kindes eingesteht und bereut, wenn er anerkennt, dass er einen Sohn, eine Tochter verloren hat und sich nach der Vergebung durch Christus ausstreckt. Tiqua begleitet Männer auf diesem schwierigen Heilungsweg.

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